Die Familie der G‑Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCRs) ist an einer Vielzahl von physiologischen Prozessen beteiligt und auch Ursache für diverse Erkrankungen. Einige GPCR-Vertreter reagieren auf mechanische Reize, wie Wissenschaftler:innen um Prof. Dr. Dr. Ines Liebscher von der Universität Leipzig herausfanden. In Zusammenarbeit mit chinesischen Forschungsgruppen ist ihnen jetzt ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zum Verständnis des Aktivierungsmechanismus dieser Rezeptorklasse gelungen. Erstmals konnten sie die Struktur von speziellen aktiven Rezeptoren beschreiben. Die Erkenntnisse sind aktuell im international renommierten Journal „Nature“ publiziert.
„GPCR sind an nahezu allen physiologischen Prozessen im Körper beteiligt. Durch GPCR kann der Mensch sehen, sein Immunsystem steuern, den Hormonhaushalt lenken. Sie stehen seit vielen Jahren im Fokus unserer Forschungsaktivitäten und die Forschung an GPCR ist deshalb von so herausragender Bedeutung, da die Mehrheit der zugelassenen Arzneimittel auf diese Rezeptorfamilie abzielt.“
- Prof. Dr. Dr. Ines Liebscher vom Rudolf-Schönheimer-Institut
Bei den GPCR handelt es sich um Rezeptoren, die ihre Signale über sogenannte G‑Proteine weiterleiten, weshalb sie auch G‑Protein gekoppelte Rezeptoren — oder kurz GPCR — genannt werden. Eine spezielle Rezeptorklasse, die sogenannten Adhäsions-GPCR, steht im Zentrum der Leipziger Forschung. In Zusammenarbeit mit mehreren chinesischen Wissenschaftler-Teams konnten die Forschungsgruppen um Prof. Dr. Dr. Ines Liebscher und Prof. Dr. Torsten Schöneberg nun die Struktur von speziellen Rezeptormolekülen im angeschalteten Zustand beschreiben. Diese Daten belegen Erkenntnisse, die bereits vor sieben Jahren im Leipziger Institut entdeckt worden waren, wonach diese Rezeptoren durch einen im Molekül gebundenen Agonisten aktiviert werden.
Weiterhin zeigten die Leipziger Forscher:innen, dass mechanische Reize in der Anschaltung durch den gebundenen Agonisten eine entscheidende Rolle spielen. Es ist bis heute immer noch nicht vollständig geklärt, wie Mechanik — vermittelt durch Vibration, Schwerkräfte, Zellrelativbewegungen oder Schwellung — von unseren körpereigenen Zellen als Signal interpretiert werden kann. „Wir haben mit unseren Forschungen die Basis dafür geschaffen, dass unsere Kooperationspartner:innen aus China ein Szenario strukturell klären konnten, wie mechanische Stimuli als Signal im Molekül erkannt und weitergeleitet werden“, erklärt die Medizinerin und Biochemikerin Liebscher. „Die Ergebnisse finden sich jetzt in der aktuellen Studie.“
Funktionelle Beschaffenheit von mechano-sensitiven Rezeptoren aufgeklärt
„Etwa ein Drittel der GPCR-Familie ist noch verwaist, was bedeutet, dass entweder Funktion oder Aktivierung unbekannt sind. Mit unserer aktuellen Forschung haben wir einen entscheidenden Beitrag zum besseren Verständnis von GPCR-Strukturen geleistet“, so Co-Autor Schöneberg, Direktor des Rudolf-Schönheimer-Instituts für Biochemie. „Die neuen Studienerkenntnisse sind für die Entwicklung zukünftiger Therapieformen von richtungsweisender Bedeutung“, fasst Liebscher zusammen. Sie ist Mitglied des Lenkungsausschusses in der EU-geförderten COST Action Adher´n Rise CA18240, welche sie erfolgreich 2019 eingeworben hatte.
Dieses Netzwerk von Wissenschaftler:innen aus 28 europäischen Ländern verfolgt das Ziel, die Forschung zu Adhäsion-G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (aGPCRs) „vom Labor bis zum Krankenbett“ zu fördern, anzuregen und umzusetzen. Die neuesten Erkenntnisse und Ansätze zur Adhäsions-GPCR Forschung werden auch auf der internationalen Tagung 4GPCRnet präsentiert werden, deren Co-Organisatorin Prof. Liebscher ist. Dieses hochrangige Meeting wird vom 26. bis 29. September 2022 auf dem Leipziger Universitätscampus am Augustusplatz stattfinden.
Das aktuelle Forschungsprojekt ist angesiedelt im Sonderforschungsbereich 1423 „Strukturelle Dynamik der GPCR-Aktivierung und –Signaltransduktion“, ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderter Forschungsverbund unter der Federführung der Universität Leipzig und Beteiligung durch die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Charité – Universitätsmedizin Berlin und das Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin. Forschende aus biochemischen, biomedizinischen und computerwissenschaftlichen Kontexten arbeiten über die Grenzen ihrer jeweiligen Institutionen und Disziplinen hinweg zusammen für ein umfassendes Verständnis der Struktur und Dynamik von GPCRs.