Mit der Corona Pandemie ist das Problem der medizinischen Unterversorgung in Afrika wieder in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt. Politiker wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und die WHO fordern den Aufbau eigener Produktionsstätte in Afrika, um Covid-19, aber auch andere tödliche Krankheiten wie Malaria zu bekämpfen. ISM-Professor Christoph Feldmann, ehemaliger Chefstratege für internationale Lieferketten bei Pfizer und Roche, erklärt, woran es bei der Pharma-Versorgung in Afrika hakt und weshalb er den neuen Ansatz der „BioNtainer“ genial findet.
Woran hapert es bei der medizinischen Versorgung in Subsahara-Afrika?
Das Problem der Arzneimittel ist nicht primär ein Produktions- oder Finanzierungsproblem, sondern ein Logistikproblem. Die Arzneimittel kommen nicht unversehrt bei den Patienten an.
Was sind die größten Stolpersteine bei der Verteilung von Arzneien in Subsahara-Afrika?
Wir Europäer übersehen gern, dass Afrika keineswegs eine homogene Region ist, sondern aus sehr heterogenen Kulturen und Ländern mit unterschiedlichen Sprachen besteht, die jeweils unterschiedliche Zulassungs- und auch Importregelungen für die Einführung von Arzneimitteln haben. Bei neuen Medikamenten, bei denen ja langjährige Stabilitätsdaten noch nicht vorliegen können, besteht oft nur ein Zeitfenster von wenigen Wochen nach der Herstellung für den Import ins Land des Patienten. Auch ist die Logistik zwischen den unterschiedlichen Regionen dieses großen und bevölkerungsreichen Kontinents in vielen Fällen nur über Luftfrachtdrehkreuze außerhalb Afrikas möglich. Im feucht-heißen Klima Subsahara-Afrikas ist zudem die Einhaltung der Kühlkette eine immense Herausforderung, nicht nur beim Transport. Selbst Krankenhäuser mit Notfallgeneratoren gelingt es bei Stromausfällen nicht immer, die Kühlschränke ohne Unterbrechung zu betreiben. Insbesondere in der Regenzeit sind zudem viele Flächenregionen, wo die meisten behandlungsbedürftigen Patienten leben, sehr schlecht erreichbar. Das stellt besonders bei der Bekämpfung von Malaria, aber auch bei den meisten anderen Krankheiten, ein Riesenproblem dar.
Weshalb bauen die Pharma-Firmen nicht eigene, lokale Produktionsstätte in Afrika?
Im Gegensatz zu anderen Massengütern werden insbesondere biochemische Medikamente (wie zum Beispiel Impfstoffe) in hochkomplexen Hightech-Anlagen hergestellt, die hohe regulatorische Qualitätsanforderungen erfüllen müssen. Ihre Herstellungskosten sind entsprechend hoch, während die Transportkosten aufgrund des leichten Gewichts der Arzneimittel niedrig sind. Es war in der Vergangenheit deshalb effizienter, Medikamente an wenigen (häufig nur weltweit einer) Produktionsstätten zumeist in den USA und Europa herzustellen. Auch das Problem der Sicherstellung der hohen Qualität und der Zulieferer für Bestandteile der Inhaltsstoffe und Produktions- und Verpackungsmaterialien konnte so kostengünstiger gelöst werden.
BioNtech hat letzte Woche vorgefertigte Impfstofffabriken in Containern vorgestellt, die neben Covid-19 Impfstoffe auch Impfstoffe gegen Malaria und Tuberkulose vor Ort in verschiedenen Regionen Afrikas produzieren sollen. Wie beurteilen Sie diesen Ansatz?
Je länger ich über diese Lösung nachdenke, umso besser finde ich die Idee. BioNtechs Lösung ist ein wirklich neuer und smarter Ansatz um den Bedürfnissen der unterschiedlichen Stakeholder, aber auch der Firma selbst gerecht zu werden. Der Ansatz berücksichtigt nämlich mehrere Aspekte, welche die Verteilung in Afrika normalerweise erschweren: Zum einen sind die Container alle gleich aufgebaut. Ich vermute deshalb, dass sie nur einmal eine Zertifizierung durchlaufen müssen, selbst wenn die Container an unterschiedlichen Orten eingesetzt werden. Dann muss nur einmal geprüft und belegt werden, dass die Container und Prozesse in Ordnung sind und den Qualitätsstandards voll entsprechen.
In den Containern mitgeliefert werden bereits die notwendigen Bauteile und Materialien für die Produktion der Impfstoffe, das Problem der Zulieferer entfällt damit. Die Impfstoffe werden aber dennoch erst vor Ort hergestellt, dadurch werden die Lieferketten stark verkürzt und die Verteilung ist trotz der relativ kurzen Haltbarkeit ohne Importhindernisse umsetzbar. Da die Produktion in den Containern vermutlich an den etablierten Distributionsstandorten wie Senegal (französisch-sprachiges Westafrika), Ruanda (englisch-sprachiges Ostafrika) und Südafrika (südliches Afrika) direkt in jeder der verschiedenen Regionen Afrikas stattfindet, kann dadurch bereits ein großer Teil der Kühlkette gespart und vor Ort besser optimiert werden. Dies kommt bei Covid-19-mRNA-Impfstoffen besonders zum Tragen, da bei diesen ja nur für relativ kurze Zeiträume die normale Kühlkette von +2 bis +8 Grad ausreicht und für eine längere Lagerung und Transport sogar ‑80 Grad erforderlich sind.
Ein weiterer Vorteil ist, dass in den Produktionsanlagen verschiedene Impfstoffe hergestellt werden sollen. Somit gibt es auch eine gewisse Flexibilität und einen hohen Patientennutzen für den Einsatz dieser Container-Produktionsstätten, auch für die Zeit nach Covid-19. Schließlich sind die lokalen Produktionen für die beteiligten Länder auch aus ökonomischer Sicht attraktiv, da sie Steuereinnahmen, Investitionen in die Infrastruktur, Arbeitsplätzte und einen gewissen Know-how-Transfer versprechen. Vielleicht ist damit auch eine Perspektive für die Entwicklung von weiteren Medikamenten vor Ort gegeben, da sich so wesentlich einfacher und kostengünstiger auch lokale (klinische) Studien durchführen lassen. Schließlich gibt es eine ganze Reihe tödlicher und leider «vergessener Tropenkrankheiten» unter denen große Bevölkerungsgruppen in Afrika (und Lateinamerika) leiden und gegen die es bislang noch keinerlei Medikamente gibt.
Der einzige Punkt, der mich mit Blick auf Covid-19 etwas skeptisch stimmt, ist die Zahl von 50 Millionen Impfstoffdosen pro Jahr, die in einem Container hergestellt werden können. Das hört sich zwar nach viel an, aber ist bei einer Milliarde Einwohner bei Weitem nicht genug. Da bräuchte es also schon einige dieser „BioNtainer“, um das Virus zu besiegen.
Wäre die Aufhebung des Patentschutzes der mRNA-Impfstoffe demnach nicht die bessere Lösung, um eine globale Pandemie auch in ärmeren Ländern zu bekämpfen?
Diese Forderung halte ich für problematisch. Mit dem alleinigen Aufheben des Patentschutzes wäre es nicht getan. Auch das gesamte Herstell-Know-how müsste offengelegt werden, damit eine zeitnahe Herstellung durch Dritte vor Ort überhaupt möglich wäre. Damit würde man aber von einem innovativen Start-up wie BioNtech erwarten, sich vor den Mitbewerbern (insbesondere auch in den Industrieländern) bis auf die Unterhose auszuziehen. Wo zieht man hier die Grenze? Wenn BioNtech zusätzlich auch zur Weitergabe der Zulassungsdossiers und ‑lizenzen gezwungen würde, käme das einer Enteignung gleich.
Die pharmazeutische Forschung wird in der Regel vom jeweiligen Pharma- und Biotech-Unternehmen selbst finanziert mit im Vergleich zu anderen Branchen nur sehr wenig staatlicher Forschungsförderung. Auch wenn Covid-19 hierbei eine Ausnahme darstellt, darf man nicht vergessen, dass die Entwicklung eines neue Wirk- oder Impfstoffes circa eine Milliarde US-Dollar kostet. Wenn man den Unternehmen nicht die Chance gibt, das Geld im – ja höchst unsicheren – Erfolgsfall wieder zu refinanzieren, wird man in Zukunft niemanden mehr finden, der bereit ist, Geld in die Entwicklung von Wirkstoffen zu investieren. Wenn als Folge der Covid-19 Krise aber die Pharma-Logistik in Afrika durch Projekte von Pharma-Firmen wie BioNTech oder der WHO verbessert wird, wäre das nicht nur für die Menschen in Afrika eine positive Entwicklung, sondern ein starkes Zeichen für die ganze Welt – auch ohne Aufweichung des Patentschutzes.