Seit Sommer 2015 geht es futuristisch zu im Verpackungslager des Unternehmens Dr. Babor. Die Kommissionierer fahren mit den Schmalgangstaplern durch die Gänge des Hochregallagers und picken das aktuell benötigte Packmittel vom richtigen Stellplatz, ohne ein einziges Mal auf ein Handheld zu schauen oder gar eine Pickliste auf Papier bei sich zu tragen. Es gibt keine LED-Displays an den Regalen, die ihnen den rechten Weg weisen; auch tragen sie keinen Knopf im Ohr, über den das jeweilige Ziel akustisch ausgegeben würde. Die Kommissionierer haben vielmehr ihr Display stets vor Augen: Sie tragen eine 43 Gramm leichte Datenbrille, auf deren Display sie jederzeit alle relevanten Informationen im Blick haben.
Was vor kurzem in der Logistikbranche noch als Zukunftsmusik galt, ist im Lager des Kosmetikherstellers aus Aachen bereits seit über einem Jahr Realität.
„Pick-by-Vision, die Kommissionierung per Datenbrille, ist keine Vision mehr, sondern eine effiziente Lösung für die Intralogistik. Die ersten Monate Echtbetrieb hatten bereits gezeigt, dass wir als Vorreiter auf die richtige innovative Technologie gesetzt haben.“
Geschäftsführer Horst Robertz
Die Umstellung der Kommissionierung auf Pick-by-Vision erfolgte im Kontext der langjährigen Unternehmensstrategie, manuelle Kleinstarbeiten zu minimieren und die Digitalisierung voranzutreiben. So wurde u. a. bereits die Produktion komplett papierlos organisiert und signifikant optimiert. Um ähnliche Effekte auch in der Lagerkommissionierung zu erzielen, suchte das Unternehmen nach einer Alternative für die bisherige Arbeit mit Handhelds, die sich als umständlich und zeitraubend darstellte. Zu oft musste das Gerät in die Hand genommen und wieder weggelegt werden.
Alles im Blick
Nach Prüfung gängiger Technologien am Markt entschied sich das Unternehmen für eine Innovation: Pick-by-Vision per Datenbrille. Im Vergleich zu Pick-by-Light mit unzähligen fest installierten LED-Displays an den Stellplätzen ist die Lösung mit Datenbrillen deutlich flexibler und günstiger. Und im Gegensatz zum Verfahren Pick-by-Voice mit Headset hat der Kommissionierer die Informationen jederzeit im Blick.
Gemeinsam mit der Herzogenrather Picavi GmbH, die mit ihrer Pick-by-Vision-Lösung neben der Datenbrillen-Technik auch IT- und Logistik-Know-how für ein effizientes Gesamtkonzept mitbrachte, machte man sich Anfang 2015 an die Planungs- und Testphase. „Dabei handelte es sich von vornherein nicht um ein Pilotprojekt oder eine Machbarkeitsstudie. Wir hatten immer das Ziel, baldmöglich in den Echtbetrieb zu gehen und das erste Hochregallager der Welt zu haben, das dauerhaft mit Datenbrillen kommissioniert“, erläutert Robertz.
Eine individuelle Software-Lösung
Das Projekt nahmen die Beteiligten zum Anlass, neben dem Austausch von Handheld durch Datenbrille weitere Verbesserungspotenziale zu identifizieren und Prozesse zu verschlanken. „Picavi besteht nicht allein aus der Datenbrillen-Hardware“, erklärt Picavi-Geschäftsführer Dirk Franke. „Unsere Lösung sorgt gleichsam für eine optimale Anbindung an die bestehende EDV im Unternehmen und schließt auch individuelle Programmieraufgaben ein.“ So leistet die speziell für das Unternehmen konfigurierte Picavi-Software neben der Führung durch den Kommissionierprozess auch die Online-Anbindung an das bestehende Warenwirtschaftssystem CSB, eine Wegeoptimierung und die Integration neuer NVE-Etikettendrucker auf den Schmalgangstaplern, um ebenfalls das bisher händische Markieren der Packmittel für die weitere Verarbeitung und den Transport zu automatisieren.
Wichtig dabei: Obwohl die Datenbrillen tragbare Minicomputer sind, läuft die Hauptrechenleistung im Hintergrund auf dem betriebseigenen Server; auf den Datenbrillen selbst werden – damit sie nicht heiß laufen – nur die bereits fertig aufbereiteten Prozessschritte ausgeführt. Lediglich die notwendigsten Daten werden dazu auf den Datenbrillen gespeichert und laufend per WLAN aktualisiert.
Die komplette Führung des Kommissionierers durch den Prozess hingegen, läuft über das Display der Datenbrille. Dabei wird jeder Schritt per in die Brille eingebautem Scanner bestätigt: So werden Stellplatznummer und Artikel überprüft; Pickfehler werden ausgeschlossen. Tube, Tiegel oder Karton – ist die korrekte Verpackung gepickt, wird zudem das NVE-Etikett direkt in der Fahrerkabine ausgedruckt, und die Brille zeigt die Ablagestelle an. Ist der Auftrag abgeschlossen, erscheint der nächste im Display.
Einfache Bedienbarkeit und stabiler Betrieb
„Die Akzeptanz des neuen Systems bei den Kollegen war wegen seiner Einfachheit schon zum Start extrem hoch. Auch nach anderthalb Jahren macht ihnen die Arbeit mit den intuitiv zu bedienenden Wearables immer noch Spaß“, freut sich Michael Thull, Produktionslogistikleiter bei Babor, über die anhaltende Begeisterung der Mitarbeiter.
Schon in der Testphase konnte aus der Kombination aus Datenbrille, Prozessführung, Wegeoptimierung und mobilem NVE-Etikettendruck eine belastbare Zeitersparnis von 18 Prozent erreicht werden. In den ersten fünfzehn Wochen des Echtbetriebs zeichnen sich sogar deutlich bessere Quoten über 20 Prozent ab. „Grund dafür ist vor allem ein stabiler Betrieb des neuen Systems. Außerdem haben wir unsere WLAN-Abdeckung erweitert, um den Datenaustausch noch flüssiger zu machen, und Lampen an den Schmalgangstaplern angebracht, die das optische Scannen mit der Brillenkamera weiter erleichtern“, resümiert Thull.
Geschäftsführer Horst Robertz zeigt die weiteren Entwicklungen auf: „Wir nutzen Picavi mittlerweile konsequent für weitere Lager und Anwendungen.“ Ende 2015 ging das Kommissionieren mit Datenbrille nach der Halle für die interne Verpackungskonfektionierung auch in der Nachbarhalle, in der Fertigware für Endkunden vorgehalten wird, an den Start. 2016 folgten die weiteren Lager am Hauptsitz gegenüber.