Herkömmliche Bildverarbeitungssysteme haben sich in industriellen Anwendungen in den vergangenen Jahren als feste Größe in der Automatisierung entwickelt. Sehende Maschinen können mehr als Anlagen ohne Bildverarbeitung, diese Erkenntnis hat sich bei Entwicklern und Konstrukteuren mittlerweile durchgesetzt. Während übliche 2D- und 3D-Vision-Systeme die Qualität von Objekten überprüfen, indem sie bestimmte Fehlermerkmale an der Oberfläche erkennen, geht die hyperspektrale Bildverarbeitung (HSI: Hyperspectral Imaging) noch einen Schritt weiter: Mit Hilfe dieser Technologie kann eine spektroskopische Analyse von Objekten erfolgen, um organische oder anorganische Verunreinigungen festzustellen – und zwar nicht nur an der Oberfläche, sondern teilweise auch im Inneren der inspizierten Materialien.
Hyperspektrale Bildverarbeitungssysteme nutzen meist 100 oder mehr verschiedene Wellenlängen und verwenden dazu einen Spektrographen, der das vom Objekt reflektierte Licht in sein Spektrum zerlegt und auf den Sensor der eingesetzten Kamera abbildet. Die auf diese Weise entstehenden Bilder setzt ein HSI-System zu einem dreidimensionalen hyperspektralen Datenwürfel zusammen, der sehr große Datenmengen enthalten kann. Als Ergebnis entsteht dadurch ein „chemischer Fingerabdruck“ des betrachteten Objekts, der eine genaue Bestimmung der vorliegenden Materialeigenschaften ermöglicht. Mit Hilfe einer speziellen Auswertesoftware kann im Anschluss jeder erkannte chemische Bestandteil mit einer eigenen Farbe in den aufgenommenen Bildern gekennzeichnet werden, um dem Anwender die vorliegenden Stoffe auf einfache Weise zu visualisieren. Die dabei eingesetzte Technologie nennt sich Chemical Colour Imaging (CCI).
Vielfältige Anwendungen
„Hyperspektrale Bildverarbeitung kann in unterschiedlichsten industriellen Anwendungsbereichen eingesetzt werden und bietet in bestimmten Fällen Lösungen für Aufgaben, an denen übliche Bildverarbeitungssystemen scheitern“, erläutert Markus Burgstaller, Geschäftsführer des Grazer Unternehmens Perception Park, das sich vor einigen Jahren auf diese innovative Technologie spezialisiert hat. Als ein Anwendungsbeispiel nennt Burgstaller die Klassifizierung von Stoffen, die optisch keinerlei Unterschiede aufweisen, chemisch jedoch nicht identisch sind: „Kunststoffe verschiedenster Zusammensetzung können sehr ähnlich aussehen und sind daher mit herkömmlicher Bildverarbeitung kaum zu unterscheiden. HSI-Systeme analysieren hingegen die chemischen Eigenschaften und erkennen die Materialien daher sehr sicher. Auch die Konzentration und Verteilung von Inhaltsstoffen lässt sich mit dieser Technologie weitgehend und in Echtzeit erfassen.“
Eine Besonderheit von Hyperspektralsystemen macht sie für bestimmte Anwendungsfälle besonders attraktiv: Einige Stoffe sind für sichtbares Licht nicht transparent, können aber von Infratrot-Licht durchdrungen werden. Dadurch wird es möglich, die chemische Zusammensetzung von verpackten Inhalten selbst durch eine entsprechend ausgelegte Verpackung hindurch zu prüfen. Anwendungen, in denen diese Eigenschaft zum Tragen kommt, finden sich nach Burgstallers Aussage vor allem in der Pharma- und der Lebensmittelindustrie, aber auch in zahlreichen anderen industriellen Segmenten.
Fehlererkennung in der Pharmaindustrie
Wie in vielen anderen Bereichen nehmen die Produktionsgeschwindigkeiten in der Pharmaindustrie weltweit rasant zu. Um das Risiko von Produktrückrufen zu verringern und Verbraucher vor kontaminierten Arzneimitteln zu schützen, gelten in dieser Branche besonders strenge Sicherheitsvorschriften. Bildverarbeitungssysteme sind bei der Herstellung von pharmazeutischen Produkten daher bereits seit einiger Zeit Stand der Technik, um Produkte in Echtzeit nach Kriterien wie Form, Größe oder Gewicht zu bewerten. Durch den Einsatz von hyperspektralen Bildverarbeitungs- und CCI-Systemen kann die Überwachung von Pharmaproduktionsprozessen jedoch noch weiter optimiert werden: Pharmazeutika lassen sich damit zu 100% auf ihre molekularen Eigenschaften hin untersuchen.
Ein typischer Anwendungsfall von HSI-Systemen in der Pharmaindustrie ist die Überprüfung von Retard-Tabletten auf korrekte Beschichtung. Diese Medikamentenform gibt den Wirkstoff nach seiner Verabreichung über einen längeren Zeitraum oder an ein bestimmtes Ziel im Körper ab. Entscheidend für diese kontrollierte Abgabe des Wirkstoffs ist die Retard-Beschichtung der Tablette: Ist sie beschädigt oder fehlt komplett, so gelangt die Arznei schneller als gewünscht in den Körper und verfehlt seine Langzeitwirkung.
Mit einer Kombination aus HSI- und CCI-Technologie lässt sich die Qualität von Retard-Medikamenten sicher kontrollieren, erläutert Markus Burgstaller: „Mit einer im NIR-Bereich arbeitenden Hyperspektralkamera und der Anwendung der Chemical Color Imaging-Technologie mit unserer Software-Suite Perception STUDIO konnten wir eindeutig nachweisen, dass zuvor künstlich erzeugte Beschichtungsfehler mit 100% Sicherheit und auch in der Hochgeschwindigkeitsproduktion in Echtzeit erkennbar sind.“ Selbst durch Blisterverpackungen hindurch ist diese Qualitätsprüfung möglich, sofern das Blistermaterial nicht aus Aluminium besteht, das die NIR-Strahlung reflektieren würde.
Laut Burgstaller ist die Prüfung von Retard-Beschichtungen nur eine von vielen Anwendungsmöglichkeiten der HSI-Technologie in der Pharmaindustrie. Mit ihr lässt sich außerdem sicher kontrollieren, ob Tabletten in korrekter Zahl, unbeschädigt und ohne Fremdkörper in Blister verpackt sind, ob die richtigen Inhaltsstoffe in Arzneimittelkapseln enthalten sind oder ob diese vollständig verschlossen sind. „Hyperspektrale Bildverarbeitung bietet zahlreiche Einsatzoptionen im Bereich Pharma und erhöht damit die Sicherheit für Patienten und Hersteller.“