Eines ist unbestritten: Vegane Produkte sind ein Kassenschlager. Mittlerweile nicht mehr nur im Lebensmittelsektor, sondern weit darüber hinaus, beispielsweise im Kosmetik- und Pharma-Bereich. Denn vegan ist Trend. Dieser Trend entwickelte sich aus dem wachsenden Bewusstsein für Umwelt- und Tierschutz und den zunehmenden ethisch-moralischen Ansprüchen der Verbraucher. Die Menschen möchten unsere Welt ein kleines Stück besser machen und unsere Tiere wertschätzend und artgerecht behandeln – zurecht.
Es gibt jedoch eine Kehrseite dieser Medaille, denn vegan ist nicht gleichbedeutend mit ethisch unbedenklich. Wir haben nicht nur den Tieren, die wir zu unserem eigenen Verzehr halten, gegenüber eine Verantwortung, sondern wir schulden der gesamten Umwelt diese Rücksichtnahme. Immer wieder ertappt man sich selbst dabei all jene Produkte zu bevorzugen auf denen der Hinweis „vegan“ steht, ohne auch nur den leisesten Zweifel an deren ethischen Bedenklichkeit zu hegen. Bleibt also eine Frage: Sind vegane Inhaltsstoffe wirklich immer die bessere Wahl?
Ein Beispiel, das durchaus zum Nachdenken anregt, findet sich in der Herstellung von Hartkapseln. Es ist seit langem üblich, Gelatine in Hartkapseln einzusetzen. Denn über das traditionell verwendete Lebensmittel weiß man aus jahrhundertelanger Erfahrung, dass es absolut sicher und unbedenklich ist. Gelatine wird schonend über eine Heißwasserextraktion aus Nebenprodukten der Fleischindustrie wie Schweine- und Rinderhaut gewonnen, ganz ohne den Einsatz gefährlicher Chemikalien. Diese Nebenprodukte fallen an – und mit der Herstellung von Gelatine erhalten auch diese, für die Lebensmittelbranche sonst eher ungeeigneten Teile, einen Wert.
Für alle Verbraucher die eine vegetarische Alternative bevorzugen, gibt es seit einiger Zeit eine Lösung: HPMC (Hydroxypropylmethylcellulose, E464). Dabei handelt es sich um einen Zusatzstoff, der aus Zellulose hergestellt wird und absolut vegan ist. So weit, so gut für Veganer und Vegetarier – doch es gibt folgende Kehrseite: Bevor sich die Zellulose zur Kapselherstellung eignet, muss sie chemisch aufgeschlossen werden. Eine ganze Reihe an hochreaktiven, gesundheitsschädlichen Substanzen kommt dabei zum Einsatz. Zum Beispiel das flüchtige Propylenoxid, das als krebserregend gilt, oder Chlormethangas. Ja, die mit HPMC hergestellten Kapseln sind ohne jeden Zweifel vegan und pflanzlichen Ursprungs. Doch handelt es sich hierbei wirklich noch um ein natürliches Produkt, das wir mit bestem Wissen und Gewissen der Gelatine vorziehen können?
Auch in den technologischen Eigenschaften unterscheiden sich die beiden Inhaltsstoffe: So ist bei der Lagerung die Sauerstoffbarriere von Gelatine deutlich höher als bei HPMC. Ein klarer Pluspunkt für sauerstoffempfindliche Inhaltsstoffe. Umgekehrt benötigen HPMC-Kapseln für solche Füllungen Antioxidantien, was mit zusätzlichen Kosten verbunden ist.
In Weichkapseln hat Gelatine noch einen weiteren Vorteil: Denn durch die Wahl der Gelatine kann der Ort der Freisetzung im Körper beeinflusst werden. Damit lässt sich entweder eine schnelle Aufnahme eines Wirkstoffs in den Blutkreislauf (zum Beispiel bei Schmerzmitteln) oder eine bewusste Verzögerung der Freisetzung (etwa um Probiotika vor der Magensäure zu schützen) erzielen.
Ohne Frage: Beide Kapsellösungen haben ihre ganz eigenen Vorzüge. Gerade deswegen lohnt es sich, einen zweiten Blick auf die verwendeten Zutaten zu werfen. Denn während der eine Verbraucher vor allen anderen Punkten darauf achtet, dass möglichst wenige E‑Nummern sowie Zusatzstoffe auf der Zutatenliste stehen, ist für den nächsten ein nachhaltiger Umgang mit den verwendeten Ressourcen von besonderer Bedeutung und für den dritten ist der Umweltschutz – und vielleicht eben nicht nur der Tierschutz alleine – der erste Punkt auf der Prioritätenliste.
Egal welchem dieser Vor- oder Nachteile letztendlich das größte Gewicht beigemessen wird, der Verbraucher von heute will über alles bestens informiert werden, und genau so sollte es auch sein. Doch nur wenn alle Fakten klar und eindeutig erkenntlich sind, ist es möglich, die beste Entscheidung zu treffen.