Alexander Podarewski, Fachübersetzer und Simultandolmetscher sowie Geschäftsführer des Übersetzungsbüros AP Fachübersetzungen in der bayerischen Stadt Nürnberg, ist der Dolmetscher, der bei der allerersten von der russischen Zulassungsbehörde durchgeführten GMP-Ferninspektion eines deutschen Pharmaunternehmens Ende Mai 2020 eingesetzt wurde. Er sprach im ersten Interview über das neue Inspektionsformat, die Änderungen der Dolmetschertätigkeit in der Corona-Krise sowie über die Präferenzen der Pharmaunternehmen bei der Auswahl von technischen Kommunikationsmitteln.
Herr Podarewski, wie haben Sie bei den Konferenzschaltungen zwischen den Pharmabetrieben und den russischen Aufsichtsbehörden gedolmetscht – mit virtueller Zuschaltung oder persönlich anwesend?
– Alles begann mit der virtuellen Präsenz bei der Ferninspektion des Unternehmens Madaus in Troisdorf, denn im Mai 2020 befand sich die Welt zum Teil wegen der grassierenden Infektionskrankheit COVID-19 noch in einer gewissen „Schockstarre“. Aus diesem Grund wurde die Anzahl der Mitarbeiter und der beteiligten Personen an den Produktionsstandorten so weit wie möglich eingeschränkt. Zu Letzteren gehören selbstverständlich auch die Dolmetscher, obwohl kein ausländisches Audit ohne sie durchgeführt werden kann.
In den letzten Monaten gingen die Pharmaunternehmen, insbesondere in Deutschland und der Schweiz, dazu über, die Dolmetscher bei sich vor Ort einzusetzen. Natürlich gibt es im Werkseingangsbereich eine strenge Eingangskontrolle, während der Arbeit werden der Mindestabstand und die Hygieneregeln eingehalten. Die Herausforderung bei der Fernarbeit besteht darin, dass niemand vorhersagen kann, wann genau der Dolmetscher benötigt wird. Die Inspektoren versuchen den bereitgestellten Plan der Online-Besprechungen mit den inspizierten Unternehmen zwar streng einzuhalten, es sind jedoch auch Imponderabilien (unvorhergesehene Umstände) möglich, die eine Planänderung erfordern. Dazu gehören vor allem diejenigen Fragen, die im Zuge der Prüfung der Dokumente des entsprechenden Unternehmens entstehen. Außerdem sind verschiedene Änderungen seitens des Pharmaherstellers möglich. Demzufolge schränkt die Buchung eines Dolmetschers nur für bestimmte Stunden die Flexibilität bei der Arbeit beider Seiten während einer Inspektion stark ein.
Können Sie sagen, wie stark sich der Modus der Inspektionsdurchführung geändert hat?
– Die russische Aufsichtsbehörde stellt dem inspizierten Unternehmen einen Plan mit der Liste der zu prüfenden Unterlagen 10 Tage vor der Inspektion zur Verfügung. Der ausländische Pharmahersteller legt die angeforderten Unterlagen über seinen offiziellen Vertreter vor oder lädt sie direkt in die Cloud vor Beginn der Inspektion hoch. Falls die Bereitstellung von Papierkopien der Unterlagen unter aktuellen Bedingungen möglich ist, so werden sie den Behörden durch den russischen Vertreter des Unternehmens zugestellt.
Es ist anzumerken, dass die Dokumentation der Schweizer Unternehmen häufig nur in Englisch erstellt wird. In Deutschland und Österreich sind die Dokumente oft zweisprachig, d.h. Deutsch-Englisch, was für die Inspektoren im Grunde ausreichend wäre. Allerdings gibt es zahlreiche Unternehmen, sogar einige Big-Pharma-Konzerne, deren Dokumentation vorwiegend auf Deutsch ist. Dies betrifft oft die Unterlagen im Bereich Qualifizierung und Validierung. Während eines jeden Audits werden ziemlich viele Dokumente behandelt. Die Übersetzung von ihnen allen und in vollem Umfang 10 Arbeitstage vor der Inspektion ist kaum möglich. Denn einige Dossiers können Hunderte oder sogar Tausende Seiten enthalten. Außerdem sind die Inspektoren auch physisch gar nicht in der Lage, solch umfangreiche Dokumente innerhalb dieser kurzen Inspektionszeit detailliert zu prüfen. Aus diesem Grund erfolgt die Prüfung der Dokumente durch die Inspektoren eher stichprobenweise bzw. in Auszügen, was die Notwendigkeit der Übersetzung aller Dokumente in vollem Umfang in gewisser Weise in Frage stellt. Eine zusätzliche Herausforderung bei der Lösung dieser Aufgabe besteht darin, dass die Inspektoren die Möglichkeit haben müssen, in sämtliche Teile eines Dokuments Einsicht zu nehmen, das die Qualität der zur ausländischen GMP-Inspektion angemeldeten Produkte betrifft. Und wenn der Dolmetscher die ganze Zeit bei der Inspektion am Standort persönlich anwesend ist, ist das Dolmetschen dementsprechend zu jeder beliebigen Zeit möglich.
Obwohl die Inspektoren und die inspizierten Unternehmen für die Online-Audits viel mehr Zeit als für die Inspektionen am Ort benötigen, bleibt vieles unverändert. Die Aufgabe eines jeden GMP-Inspektors ist es, durch die Inspektion der Produktion des entsprechenden Unternehmens, dessen Produkte auch in das Heimatland des Inspektors importiert werden können, die Einhaltung der geltenden GMP-Richtlinien seines Landes zu überprüfen. Die Richtlinien der Guten Herstellungspraxis stellen wiederum ein System von Anforderungen an die Organisation der Produktion und die Qualitätskontrolle bei der Herstellung von Arzneimitteln dar. Hier änderten die Corona-Infektion, die Reaktion der Menschheit in Form von Maßnahmen zur sozialen Distanzierung oder die weltweiten Reisebeschränkungen rein gar nichts. Nur das Format der Präsentation von Informationen über den Standort und zahlreiche Produktionsbesonderheiten sowie das Format des Empfangs und der Analyse dieser Informationen haben sich geändert. Früher hatten die Inspektoren in Begleitung von Dolmetschern einen persönlichen Zugang zu sämtlichen Betriebsräumen, sie konnten mit jedem Mitarbeiter persönlich kommunizieren und die Fragen aus seinem Verantwortungsbereich besprechen. Heute besteht diese Möglichkeit nicht mehr.
Bedeutet dies, dass alle Unternehmen, denen eine Vor-Ort-GMP-Inspektion bevorstand, sich einer Fernprüfung unterziehen müssen?
– Meines Wissens absolvieren nur die Pharmahersteller eine Fern- bzw. virtuelle Inspektion, die mindestens zum zweiten Mal inspiziert werden, wobei dies als Notmaßnahme vorgesehen ist. Die Vor-Ort-Audits werden erst nach der COVID-19-Pandemie weiter durchgeführt.
Hier erlaube ich mir hinzuzufügen, dass die Inspektoren eine enorme Verantwortung für die Prüfung eines Pharmaunternehmens auf Herz und Nieren tragen. Die Dokumentenprüfung aus der Ferne erhöht den Zeitaufwand für die Durchführung einer Inspektion auf das 2- bis 3‑Fache und enthält einige weitere technische Einschränkungen. Auf diese Weise geraten die Pharmaunternehmen und deren russische Vertreter, Aufsichtsbehörden und Dolmetscher in eine schwierige Lage, an die man sich erst anpassen muss, damit die Unternehmen dann die Möglichkeit haben, ausländische Märkte mit sicheren Produkten zu beliefern.
Wie würden Sie aus Sicht eines Dolmetschers die Rolle des Vertreters des inspizierten ausländischen Unternehmens einschätzen?
– Die russischen bzw. GUS-Vertreter von inspizierten Unternehmen stehen in direktem Kontakt mit den Inspektoren bereits vor der GMP-Inspektion und spielen eine wichtige Rolle bei jeder GMP-Inspektion. Sie haben eine langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit den entsprechenden Aufsichts- bzw. Zulassungsbehörden. Allerdings kam es während meiner Berufspraxis in diesem Bereich mehrmals vor, dass der Vertreter nach Beginn der Inspektion außer der Weiterleitung der in russischer Sprache erstellten Original-E-Mails von russischen Inspektoren an das deutsche Unternehmen keinerlei Unterstützung leistete – es gab teilweise nicht einmal einen Versuch, die E‑Mails ins Englische zu übersetzen. Dabei können die Vertreter in den meisten Fällen ziemlich gut Englisch. In solchen Situationen, als ich mich am Standort bis zum Ende des Arbeitstages oder bereits im Hotel befand, musste ich bereits öfter die Beobachtungen von Inspektoren und ihre Bitten um Erläuterungen oder auch zusätzliche Unterlagen dringend übersetzen. So konnte der Leiter der Qualitätssicherung, der in den meisten Fällen auch der Inspektionskoordinator am inspizierten Standort ist, noch vor meiner Ankunft am Betrieb und bis zum nächsten Inspektionstag die Bereitstellung von angefragten zusätzlichen Informationen organisieren.
Bei einer Inspektion versprach der russische Vertreter, die Sache mit der Übersetzung der notwendigen Dokumentation in Russland zu erledigen, weil ich bereits als Dolmetscher während des Audits eingespannt war und keine Zeit für die Übersetzung hatte. Benötigt wurde die Übersetzung der jährlichen Product Quality Reviews für mehrere Produkte einschließlich des PQRs für ein Fertigprodukt, der Übersicht von Reklamationen, Änderungen und OOX. Offensichtlich vergaß es der russische Vertreter im Eifer des Gefechts. Wir mussten uns selbst „aus der Patsche“ helfen, und so verdolmetschte ich spontan die Auszüge aus diesen Dokumenten nach Auswahl der Inspektoren im Rahmen der Videoübertragung.
Präzise dosieren mit Inline-Verdünnungsanlage
Der Bedarf an Medikamenten auf Oligonukleotid-Basis nimmt stetig zu, sei es bei seltenen Krankheiten oder bis hin zu chronischen Indikationen....
Read more