Die Corona-Pandemie hat gelehrt, wie wichtig diagnostische Hilfsmittel sind, die schnell und zuverlässig beispielsweise Erreger oder Antikörper nachweisen können. Der diagnostische Werkzeugkasten muss dabei stetig durch neue innovative Methoden erweitert werden, um sowohl SARS-CoV‑2 als auch zukünftigen Herausforderungen dieser Art begegnen zu können. Chemiker der Friedrich-Schiller-Universität Jena, das IMMS Institut für Mikroelektronik- und Mechatronik-Systeme gemeinnützige GmbH (IMMS GmbH) und die fzmb GmbH, Forschungszentrum für Medizintechnik und Biotechnologie entwickeln deshalb gemeinsam eine neue Technologieplattform für Schnelltests. Am Freitag (5.3.) startete das vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Projekt „ViroGraph – Multiplex-Detektionssystem zum Nachweis von Viren auf Basis von Graphen-Feldeffekttransistoren“, das für zweieinhalb Jahre angesetzt ist, mit einem virtuellen Auftakttreffen, an dem auch die Mitglieder des begleitenden Ausschusses aus sechs Unternehmen und Institutionen teilnahmen.
Ziel der neuen elektronischen Plattform ist es, die bereits an der Universität Jena erforschten Graphen-Sensoren für neue sogenannte Point-of-Care-Geräte zu erschließen. Solche kleinen und mobilen Geräte sollen künftig ähnlich einfach wie Covid-19-Schnelltests vor Ort einsetzbar sein und Viren, Virenproteine oder Antikörper hochsensitiv – vergleichbar mit PCR-Tests – nachweisen. Mit dem neuen Projekt wollen die Partner den Grundstein für viele weitere präzisere, sensitivere und spezifischere Anwendungen im Bereich der Vor-Ort-Diagnostik über SARS-CoV‑2 hinaus legen.
Sensor aus Graphen
Prinzipiell sind auf den Teststreifen der aktuell eingesetzten Schnelltests bestimmte Proteine als Fängermoleküle aufgebracht, die – falls in der untersuchten Probe vorhanden – mit Virusbestandteilen oder mit Antikörpern reagieren. Dabei entsteht ein Farbstreifen, der das Ergebnis anzeigt. In der neuen Plattform des ViroGraph-Projektes soll ein neuartiger elektronischer Sensor aus Graphen die Aufgabe des Teststreifens übernehmen – überzogen von einer nur einen Nanometer dicken Kohlenstoffmembran, die die Fängermoleküle auf der Sensoroberfläche fixiert. Lagern sich die Analyten aus einer Probe – also etwa Antikörper oder Virusbestandteile – auf der Sensoroberfläche an, dann verändert sich die elektrische Leitfähigkeit des Sensors. Dieser Parameter kann elektronisch ausgelesen werden und liefert das Testergebnis.
„Feldeffekttransistoren kommen bereits beispielsweise bei der Messung von pH-Werten zum Einsatz, für Anwendungen im Bereich der immunologischen Diagnostik allerdings waren sie bisher nicht sensitiv und spezifisch genug. Durch die Kombination von Heterostrukturen aus Graphen, das eine entsprechende Leitfähigkeit bereithält, und der molekularen Kohlenstoffnanomembran, die die Sensoroberfläche biochemisch funktionalisiert, konnte diese Schwachstelle allerdings behoben werden. Denn das aus nur einer Atomschicht bestehende 2D-Material Graphen zeichnet sich durch eine besondere elektrische Leitfähigkeit aus – sensible Änderungen der Leitfähigkeit während der Ankopplung von Analyten, also den gesuchten Molekülen, lassen sich schnell und einfach messen.“
— Prof. Andrey Turchanin von der Universität Jena
Kleine Geräte und viele Parameter per Schnelltest
Um diese kleinsten elektrischen Ströme im Bereich einiger Nanoampere überhaupt messen zu können, entwickeln die Projektkoordinatoren des IMMS geeignete miniaturisierte Messtechnik. „Das ist wichtig, um die für unsere Anwendung notwendige Leistungsfähigkeit sehr großer Messgeräte, die solche Parameter normalerweise ermitteln können, in ein handliches Point-of-Care-Gerät zu integrieren.“ sagt Michael Meister vom IMMS. „Eine besondere Herausforderung dabei ist außerdem, mehrere Graphen-Sensoren gleichzeitig zu messen, um eine Multiparameteranalytik realisieren zu können.“
Denn hierin soll die besondere Stärke der elektronischen Methode bestehen: „Wir wollen den Grundstein für ein Multiplex-Detektionssystem legen, mit dem wir mehrere Analyten gleichzeitig detektieren können“, erklärt Dominik Gary von der fzmb GmbH, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immunologische und molekularbiologische Nachweissysteme für den neuen Sensor entwickeln. „Somit wäre das ViroGraph-System möglicherweise sogar zur Gentypisierung geeignet und könnte verschiedene Mutationen von Viren im Schnellverfahren erkennen.“
Einschätzung aus der Industrie
„Für uns als Experten für Immunoassays und ELISA sind Ergebnissicherheit, einfache und schnelle Testverfahren zentral“, erklärte Dr. Peter Rauch, Mitglied im ViroGraph-Projektausschuss und Geschäftsführer der CANDOR Bioscience GmbH. Die Pandemie des SARS-CoV-2-Virus zeige deutlich den Bedarf an Point-of-Care-Systemen mit hoher analytischer Leistungsfähigkeit, die vor Ort am Patienten zu vertretbaren Preisen eingesetzt werden können. „Die im Projekt verfolgten Ansätze können den Herausforderungen auf elektronischem Weg begegnen. Wir werden daher die Arbeiten mit großem Interesse verfolgen und mit Rat und Tat unterstützen.“