Heiko Braak, Seniorprofessor an der Universität Ulm, erhält in diesem Jahr den mit 60.000 Euro dotierten „Hartwig Piepenbrock-DZNE Preis“. Das Unternehmen Piepenbrock und das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) würdigen damit Braaks bahnbrechende Forschung über die Alzheimer- und die Parkinson-Krankheit. Der international renommierte Hirnforscher fand unter anderem heraus, dass diese Erkrankungen nach und nach verschiedene Bereiche des Gehirns erfassen und somit unterschiedliche Stadien durchlaufen. Die Auszeichnung wird am 7. September 2017 in Bonn überreicht – im Vorfeld des „Welt-Alzheimertages“, der am 21. September begangen wird.
„Heiko Braak verdanken wir fundamentale Erkenntnisse über die Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen im menschlichen Gehirn. Er ist ein Pionier und seine Arbeit ist weltweit anerkannt“, so Professor Pierluigi Nicotera, Vorstandsvorsitzender des DZNE. Braaks Forschung über die Alzheimer- und die Parkinson-Krankheit sei bahnbrechend. Dies gelte insbesondere hinsichtlich der Frage, wie sich bestimmte Krankheitsmerkmale, denen fehlerhafte Proteine zugrunde liegen, im Gehirn verbreiten. „Diese Erkrankungen entwickeln sich zunächst lokal. Braak entdeckte, dass sie sich dann in charakteristischer Weise im Gehirn ausbreiten. Diese Befunde haben unser Bild des Krankheitsverlaufs nachhaltig geprägt“, so Nicotera.
„Mit der Auszeichnung wollen wir ein Zeichen für exzellente Wissenschaft setzen, denn sie legt die Basis für neue Möglichkeiten der Vorsorge und Behandlung“, sagt Olaf Piepenbrock, Geschäftsführender Gesellschafter der Piepenbrock Unternehmensgruppe. „Wir wollen aber auch die öffentliche Diskussion anregen. Neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson bedeuten für Patienten und pflegende Angehörige eine enorme Belastung. Viele Menschen erleben dies tagtäglich im Kreise ihrer Familien und Bekannten. Mit dem Preis möchten wir zur gesellschaftlichen Wahrnehmung dieser Situation beitragen.“
Auszeichnung für Spitzenforschung
Der „Hartwig Piepenbrock-DZNE Preis“ zeichnet alle zwei Jahre herausragende Forschung über neurodegenerative Erkrankungen aus. Merkmale dieser Erkrankungen – darunter Alzheimer und Parkinson – sind Beeinträchtigungen der Nervenfunktion bis hin zum Verlust von Nervenzellen. Mögliche Folgen sind Demenz und Bewegungsstörungen. Der Preis wird von der Piepenbrock Unternehmensgruppe gestiftet und im Andenken an deren ehemaligen geschäftsführenden Gesellschafter vergeben. Hartwig Piepenbrock verstarb 2013 an den Folgen einer Demenzerkrankung. Er hatte sich über viele Jahre für Kunst, Wissenschaft und die Gesellschaft engagiert. Die Auswahl der Preisträger erfolgt durch ein internationales Komitee unter Koordination des DZNE. In diesem Jahr wird der Preis zum vierten Mal verliehen.
Hintergrundinformationen zum Preisträger
Heiko Braak, geboren 1937, studierte Medizin in Berlin, Hamburg und Kiel. In Kiel wurde er anschließend Professor für Anatomie. Nach weiteren Stationen in Boston und Baltimore forschte Braak über viele Jahre an der Universität Frankfurt am Main. Mittlerweile emeritiert, ist der heute 80-jährige Hirnforscher in der Wissenschaft weiterhin aktiv. Gemeinsam mit seiner Ehefrau und Fachkollegin, Kelly Del Tredici-Braak, arbeitet er am Zentrum für Biomedizinische Forschung der Universität Ulm. Dort ist Braak seit 2009 Seniorprofessor. Schon seine erste, inzwischen verstorbene Ehefrau, Eva Braak, war an seiner Forschung intensiv beteiligt.
Braak befasst sich seit vielen Jahren mit der Architektur des menschlichen Gehirns und der Frage, wie es sich infolge neurodegenerativer Erkrankungen verändert. Dafür hat er die Gehirne tausender verstorbener Menschen auf krankhafte Veränderungen untersucht. Im Jahre 2014 zählte ihn der Medienkonzern Thomson Reuters zu einem der weltweit meistzitierten Wissenschaftler seines Fachgebietes. Seine Studien haben die Vorstellung davon, wie sich die Alzheimer- und die Parkinson-Erkrankung entwickeln, maßgeblich beeinflusst. Sie zeigen insbesondere, dass sich diese Erkrankungen schleichend und für die Betroffenen oft unbemerkt über Jahre entwickeln, bevor sich erste Symptome bemerkbar machen.
Markante Merkmale
Im Zuge der Alzheimer-Erkrankung kommt es zur fortschreitenden Fehlfunktion von Hirnzellen und deren Absterben. Ein typisches Merkmal ist zudem, dass sich spezielle Eiweißstoffe – sogenannte Tau-Proteine – im Gehirn zu winzigen Klumpen anhäufen. Braak stellte fest, dass diese Ablagerungen keineswegs zufällig auftreten. Vielmehr folgt ihre Verteilung einem charakteristischen Muster, das sich im Laufe der Erkrankung verändert: Die Ablagerungen zeigen sich zunächst im „Schläfenlappen“, einer Region des Großhirns. Im späteren Verlauf erscheinen sie nach und nach auch in anderen Hirnbereichen. Auf dieser Grundlage teilte Braak die Entwicklung von Alzheimer in verschiedene Phasen ein, die heute „Braak-Stadien“ genannt werden und international anerkannt sind. Die ursprüngliche Facharbeit hierzu erschien im Jahre 1991.
Dass sich die Symptome einer Alzheimer-Erkrankung in Laufe der Zeit verändern, war ein lange bekanntes Phänomen. Doch erst Braak konnte die krankhaften Veränderungen des Gehirns und deren zeitliche Entwicklung mit klinischen Symptomen in Zusammenhang bringen: Die Braak-Stadien sind gewissermaßen Momentaufnahmen des Krankheitsverlaufs und beschreiben, wie die Erkrankung im Gehirn voranschreitet. Im Zuge der Erkrankung werden dann nach und nach diverse Hirnregionen erfasst und verschiedene Funktionen des Gehirns beeinträchtigt. Damit verändert sich das Krankheitsbild.
Im Jahre 2003 stellte Braak ein ähnliches Verlaufsschema für Parkinson vor. Es unterteilt die Entwicklung dieser Erkrankung ebenfalls in verschiedene Stadien – in Abhängigkeit davon, welche Areale des Gehirns betroffen sind. Dabei orientierte sich Braak wiederum am Vorkommen krankheitstypischer Merkmale: den „Lewy-Körperchen“. Diese mikroskopisch kleinen Partikel, die vor allem den Eiweißstoff „Alpha-Synuclein“ enthalten, sammeln sich in den Nervenzellen von Menschen mit Parkinson an.
Die von Heiko Braak entwickelten Klassifizierungen der Phasen von Alzheimer und Parkinson haben längst Eingang in medizinische Lehrbücher gefunden. Für Wissenschaftler in aller Welt bieten die Braak-Stadien eine standardisierte Grundlage, um krankhafte Veränderungen des Gehirns zu beschreiben und Befunde von unterschiedlichen Patienten miteinander zu vergleichen.
Braaks Forschungstätigkeit geht jedoch darüber hinaus. So hat er auch zum Verständnis der Nervenkrankheit ALS sowie der Silberkornkrankheit – einer seltenen Form der Demenz – wesentlich beitragen. Dass der Wissenschaftler ein Vordenker ist, zeigt sich zudem an einer von ihm aufgestellten Hypothese: Demnach könnte die Parkinson-Erkrankung nicht wie gemeinhin angenommen im Gehirn beginnen, sondern im Nervengeflecht des Magen-Darm-Systems und sich von dort aus über Nervenleitungen bis ins Gehirn ausbreiten. Diese Vermutung ist bis heute Gegenstand der Forschung.